- Troja: Der Schatz des Priamos
- Troja: Der Schatz des PriamosIn der Rückerinnerung der Griechen war der Trojanische Krieg, die gemeinsame Expedition der verbündeten griechischen Staaten, um die entführte Helena, die Gemahlin des Spartanerkönigs Menelaos, zu befreien, das zentrale Ereignis ihrer heroischen Vorzeit. Das früheste erhaltene Werk griechischer Literatur, die älteste europäische Dichtung überhaupt, die Ilias Homers, schildert eine Episode aus dem zehnten Jahr der Belagerung Trojas; die wenig spätere Odyssee hat die Irrfahrten des Odysseus auf dem Weg von Troja zurück nach Ithaka zum Inhalt.Das antike Troja erhob sich auf dem Hügel von Hissarlik (türkisch »kleine Burg«) knapp 5 km landeinwärts von der Dardanelleneinfahrt. Hissarlik liegt auf einem Kalksteinplateau, das von den Flussläufen des Skamander (heute Menderes) und Simoeis (heute Dümrek) begrenzt wird. Nach Westen und Norden fällt das Gelände relativ steil ab, von Süden her ist ein Zugang leicht möglich. Der nur rund 200 × 150 m messende Hügel von Hissarlik wurde von Heinrich Schliemann als Stätte des Homerischen Troja identifiziert. Schliemann, Pastorensohn aus Neubukow in Mecklenburg, begeisterte sich von Jugend an für die Epen Homers, die er buchstabengetreu in geradezu romantischer Weise als eine vollgültige Geschichtsquelle betrachtete. Ausgerüstet mit einer genialischen Sprachbegabung und enormen kaufmännischen Fähigkeiten, gelang es ihm im Laufe seines Lebens, ein großes Vermögen zu erwerben, das ihn schließlich im reifen Mannesalter in die Lage versetzte, den Jugendtraum von der Entdeckung Trojas zu verwirklichen. Im Jahre 1870 begann er mit seinen Ausgrabungen auf dem Hügel von Hissarlik, die er mit Unterbrechungen bis in die Zeit kurz vor seinem Tode im Jahre 1890 weiterführte. Es gelang ihm, auf dem Hügel Reste von neun übereinander liegenden Städten freizulegen, von denen er die zweite Stadt von unten aufgrund ihrer reichen Goldfunde, die er in naiver Weise als Schatz des Priamos, des trojanischen Königs, interpretierte, mit dem Troja Homers gleichsetzte. Schliemanns Arbeiten setzte nach seinem Tod in den Jahren 1893 und 1894 sein früherer Mitarbeiter, der Architekt Wilhelm Dörpfeld, fort. Die Ausgrabungen von Carl William Blegen von der Universität Cincinnati zwischen 1932 und 1938 führten zu einer besseren Kenntnis der Abfolge der Siedlungsschichten und ihrer Chronologie. Seit 1987 arbeiten Forscher der Universität Tübingen unter Leitung Manfred Korfmanns in Troja. Die neueren Untersuchungen beschränken sich nicht auf den Ruinenhügel, sondern haben auch Fundstätten des Umlandes systematisch erfasst und vor allem versucht, die frühere Umwelt mithilfe moderner naturwissenschaftlicher Methoden zu rekonstruieren. Ihre Ergebnisse haben das Bild der Geschichte Trojas bereits in einigen entscheidenden Punkten bereichert und teilweise auch revidiert.Troja verdankte seine Bedeutung zum einen der dominierenden Lage in der Troas-Ebene, zum anderen der Nähe zum Meer. Im Unterschied zur heutigen Küstenlinie der Dardanellen erstreckte sich an der Dardanelleneinfahrt in der Antike eine von Norden nach Süden verlaufende tiefe Bucht, die bis knapp an die Mauern Trojas heranreichte, sodass die Stadt Zugang zur See hatte. Eine Hafenbucht, die vielleicht von den Trojanern bereits genutzt wurde, liegt zudem etwa 10 km südwestlich von Troja bei der Ruinenstätte von Beşiktepe. In den Dardanellen fließt eine sehr beträchtliche, bis zu 9 km Stundengeschwindigkeit erreichende Ost-West-Strömung, die gerade in den Sommermonaten, wenn zusätzlich ein ständiger heftiger Nordostwind weht, ein Einfahren in die Meerenge vom Mittelmeer her erschwert oder in der Antike vielleicht sogar unmöglich machte. Zur Seefahrt geeigneter waren eher die Frühlings- und Herbstmonate. Es ist möglich, dass man in der ungünstigen Jahreszeit Waren, die die antiken Handelsschiffe mit sich führten, in Troja anlandete und dann teilweise auf dem Landweg weitertransportierte. Troja hätte dann außer von seiner kontrollierenden Funktion an der Dardanelleneinfahrt eventuell auch noch vom Umschlag des Güterverkehrs direkt profitiert.Die neun trojanischen Städte, die bereits Schliemann und Dörpfeld nachwiesen, bauen sich, wie die amerikanischen Ausgrabungen in den 30er-Jahren unseres Jahrhunderts gezeigt haben, wiederum jeweils aus einer Vielzahl von Siedlungsschichten auf. Die Tübinger Grabungen haben sogar noch Baureste identifiziert, die älter sind als die bislang mit Troja I bezeichnete Burganlage. Sie bedürfen allerdings noch näherer Untersuchungen.Bereits die ältesten Siedler, die sich in der Zeit zwischen 3000 und 2500 v. Chr. in Troja niederließen, umgaben ihre Siedlung mit einer Ringmauer aus Bruchsteinen. Die Innenbebauung weist auf einen eher kleinstädtisch-dörflichen Charakter von Troja I hin. Troja I konnte nur ausschnitthaft untersucht werden, da spätere Mauerzüge die Fläche weit gehend überdecken.Die zweite trojanische Stadt, gegen 2500 v. Chr. gegründet und gegen 2300 bis 2200 v. Chr. durch eine Brandkatastrophe zerstört, entwickelte sich bereits zu einer fürstlichen oder königlichen Residenz. Die bebaute Fläche wurde nun erweitert und wiederum durch eine Ringmauer, die aus Bruchsteinen mit einem Lehmziegelaufbau bestand, eingefasst. Der Durchmesser der Befestigungsanlage beträgt etwa 120 m. Zwei Tore führten vom Südwesten und Südosten her in die Zitadelle hinein. Sie bestehen aus lang gezogenen parallelen Mauerschenkeln mit jeweils zwei Quermauern, zwischen denen die hölzernen Tore angebracht waren. Zum südwestlichen Tor führte eine lange, steingepflasterte Rampe hinauf. Das Haupttor dürfte jedoch das südöstliche gewesen sein, denn es führt mit einer leichten Änderung in der Wegachse auf eine innere Mauereinfriedung zu, die durch einen Torbau unterbrochen wird. Troja II wurde 2300 bis 2200 v. Chr. offensichtlich von Feinden niedergebrannt, da die Bewohner ihre wertvolle Habe, das heißt ihren Besitz an Bronze, Gold und Silber verborgen haben. Diese Schatzfunde, von denen Schliemann den größten Teil als den Schatz des Priamos gedeutet hat, bestehen aus getriebenen Silber- und Goldbechern, aus einer goldenen Schnabeltasse, aus umfangreichen, aus Goldplättchen zusammengesetzten Diademen, goldenen Kettengliedern, goldenen Spiralringen, die das Haar schmückten, goldenen Ohrringen, bronzenen Dolchen und Lanzenspitzen. Die Funde sprechen auch für die reichen trojanischen Handelsverbindungen, denn die Rohmetalle wie Gold, Silber, Kupfer und Zinn kommen in der Troasebene selbst nicht vor. Die frühbronzezeitliche Keramik Trojas kann sich an Qualität mit der des gleichzeitigen Kreta oder der Kykladen nicht messen. Es ist eine durchweg handgemachte einfarbige Töpferware ohne größeren künstlerischen Anspruch. Hauptformen sind schmale Becher mit zwei großen bogenförmigen Henkeln; hinzu kommen Schnabelkannen und amphorenartige Gefäße, die vielfach ein im flachen Relief modelliertes maskenartiges Gesicht tragen, die trojanischen Gesichtsurnen. Die auf die Zerstörung folgenden Städte Troja III, Troja IV und Troja V galten lange Zeit, obgleich ihre Hausruinen über eine weite Fläche verstreut lagen, als Reste einer eher ärmlichen Bebauung. Bei den neuen Tübinger Ausgrabungen ist es jedoch gelungen festzustellen, dass auch diese Anlagen durch Befestigungsmauern geschützt wurden. Von einem Rückgang des zivilisatorischen Niveaus kann demnach wohl keine Rede sein. Allerdings scheinen Troja III-V eher dicht bebaute Siedlungen als Fürstenresidenzen gewesen zu sein. Nach ihrem keramischen Material gehören auch diese Städte der frühen Bronzezeit an. Sie sind vermutlich in die Jahre zwischen 2300 bis 2200 und 1800 v. Chr. zu datieren.Um 1800 v. Chr. entstand Troja VI. Die deutlich geböschte, 4-5 m dicke und durch sägezahnartige, regelmäßige Vorsprünge gegliederte Mauer, die in Quadertechnik erbaut ist, umschließt nun ein Areal von etwa 200 × 150 m. Der Hauptzugang lag im Süden und wurde von einem gewaltigen Torturm flankiert. Ein weiterer Turm erhebt sich im östlichen Mauerzug etwa in der Mitte zwischen dem Südtor und einem zweiten Tor, das durch einfache Überlappung der Mauerschenkel gebildet wird. Die Innenbebauung gruppierte sich auf ringförmigen, der Hügelkontur folgenden Terrassen. Allerding sind davon nur größere Gebäude in unmittelbarer Mauernähe freigelegt worden, da der obere, höhere Teil des Hügels durch Planierarbeiten in römischer Zeit abgetragen wurde, was zur Zerstörung der gesamten Innenbebauung von Troja VI führte. Erhalten haben sich einige große, rechteckige Gebäude, zum Teil einräumig, zum Teil mehrräumig. Das Dach wurde wohl von hölzernen Ständern, die auf Steinplatten gestellt sind, getragen.Troja VI war fürstliche Burg und eine reine Zitadelle. Bei den Tübinger Ausgrabungen wurden Teile der Unterstadt freigelegt, die sich im weiten Bogen nach Süden hin an die Burgmauer anschließt und mit Wall und Graben befestigt war. Troja VI wird durch eine auf der Scheibe gedrehte, meist grautonige, einfarbige Keramik charakterisiert, die einem in ähnlicher Weise in den westlichen Küstenstreifen Kleinasiens begegnet und Verwandtschaft zur grauminyschen Keramik der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends auf dem griechischen Festland aufweist. Die Bewohner von Troja VI unterhielten intensive Handelsbeziehungen zum mykenischen Kulturbereich, wie Funde mykenischer Keramik des 14. und 13. Jahrhunderts v. Chr. zeigen. Beziehungen zu Inneranatolien deutet der jüngste Fund eines Siegels mit hethitischen Schriftzeichen an.Noch nicht lokalisiert ist die Nekropole Trojas. Bei den amerikanischen Ausgrabungen ist eine kleine Gruppe von Brandgräbern etwa einen halben Kilometer südlich der Burgmauer freigelegt worden. Die Asche der Toten war in Tongefäßen beigesetzt. Dieser Grabritus entspricht den Bestattungsriten der Hethiter in Inneranatolien in dieser Zeit, während die mykenischen Griechen ausschließlich die Körperbestattung praktizierten. Troja VI ging etwa um 1250 v. Chr. in einer Erdbebenkatastrophe zugrunde.In der Folge richteten die Bewohner von Troja VII die alte Stadtmauer von Troja VI wieder her, doch nun wandelte sich deutlich der Charakter der Bebauung. Troja VII war keine fürstliche Residenz mehr, sondern eine dorf- oder stadtartige Siedlung mit einer verdichteten Bebauung aus mehrräumigen, rechteckigen Häusern, die sich zum Teil unmittelbar an die Burgmauer anlehnen. Auffällig ist eine große Zahl von Räumen mit großen Pithoi (Vorratsgefäßen), die in den Boden eingelassen waren und darauf hindeuten, dass die politischen Verhältnisse unsicher waren, sodass man gezwungen war, Lebensmittelvorräte anzulegen. Troja VII endete kurz nach 1200 v. Chr. in einer Brandkatastrophe. Während die folgende Siedlung Troja VII b 1 noch kontinuierlich an Troja VII a anschließt, vollzieht sich zur Stadtanlage Troja VII b 2 ein deutlicher kultureller Umbruch. In dieser Phase taucht erstmals eine fremde handgemachte Keramik auf, die sich durch eine Verzierung aus plastischen Buckeln auszeichnet. Der Rückfall von der scheibengedrehten Töpferware zur handgeformten scheint symptomatisch. Diese Buckelkeramik findet ihre beste Entsprechung unter Tonwaren auf dem südöstlichen Balkan, im Bereich Rumäniens und Bulgariens. Man muss wohl in dieser Zeit mit Einwanderungen aus dem südöstlichen Europa rechnen.Offen bleibt immer noch die alte Frage, welche der Städte Trojas mit den Ereignissen des Trojanischen Krieges, wie Homer sie schildert, zu verbinden sind. Die amerikanischen Ausgräber in den Dreißigerjahren unseres Jahrhunderts haben angenommen, dass die Brandzerstörung, die kurz nach 1200 v. Chr. Troja VII a beschließt, Zeugnis der Auseinandersetzung zwischen mykenischen Griechen und Trojanern gewesen sei. Die ist sicherlich nicht unmöglich, bereitet aber insofern Schwierigkeiten, als die mykenischen Paläste ungefähr zur gleichen Zeit selbst in Schutt und Asche sanken. Ein großer Kriegszug verbündeter mykenischer Griechen, wie ihn die Überlieferung seit Homer voraussetzt, wäre zu dieser Zeit gewiss nicht mehr möglich gewesen, wohl aber natürlich ein kleineres Unternehmen, das dann vielleicht in der späteren epischen Überlieferung in mythischer Weise überhöht worden wäre.Bereits am Beginn des 1. Jahrtausends v. Chr. setzten sich äolische Griechen auf dem Hügel von Troja fest. Ihre zunächst bescheidene Siedlung bestand bis in das 1. Jahrhundert v. Chr. Diese als Troja VIII bezeichnete Stadt wurde 86 bis 85 v. Chr. im Verlauf der Mithridatischen Kriege, als die Trojaner sich dem König Mithridates von Pontos gegen Rom angeschlossen hatten, von dem römischen Legaten Gaius Flavius Fimbria zerstört. Die Stadt wurde auf Anordnung des römischen Diktators Sulla dann sehr bald wieder aufgebaut, erreichte ihre höchste Blüte schließlich unter dem Kaiser Augustus, unter dem der Athene-Tempel auf dem Burghügel, der bereits in hellenistischer Zeit bestanden hatte, restauriert wurde. Bei diesen Bauarbeiten wurden große Teile der Hügelkuppe planiert, sodass gerade das Zentrum der spätbronzezeitlichen Bauperioden, das heißt von Troja VI und Troja VII, zerstört wurde. Der Burghügel selbst diente in römischer Zeit nicht mehr zu Wohnzwecken, sondern hatte rein musealen Charakter. Er war Verehrungsstätte für die Göttin Athene und für die Heroen des Trojanischen Krieges, eine Funktion, die der Burghügel zum Teil auch bereits in hellenistischer Zeit besaß. Troja war damals ein Erinnerungsort, der von prominenten Römern besucht wurde, die hier den Urvätern des römischen Volkes und den großen Heroen der Griechen zu begegnen trachteten. Zu den prominentesten Besuchern gehörten der Kaiser Hadrian oder später der Kaiser Caracalla. Die Stadtsiedlung von Troja IX dehnte sich in der Ebene im Süden und Osten des Burghügels aus.Prof. Dr. Hartmut MatthäusDemargne, Pierre: Die Geburt der griechischen Kunst. Die Kunst im ägäischen Raum von vorgeschichtlicher Zeit bis zum Anfang des 6.vorchristlichen Jahrhunderts. München 1965.
Universal-Lexikon. 2012.